Alkoholfreies Bier

Ein immer wiederkehrendes Thema ist das alkoholfreie Bier für trockene Alkoholiker. Hier scheint es mehrere Lager zu geben. Mir sind bisher die beiden folgenden Anschauungen begegnet:

  1. Alkoholfreies Bier ist absolut gefährlich und unbedingt zu vermeiden, weil es unweigerlich zum Rückfall führt.
  2. Ich habe absolut kein Problem mit alkoholfreiem Bier, mir macht das nichts aus.

Worum geht es bei dieser Frage eigentlich?

Jeder Suchtpatient besitzt ein sogenanntes Suchtgedächtnis. Wer Alkohol trinkt, sorgt gleichzetig dafür, dass im Gehirn Dopamin freigegeben wird, das sogenannte “Glückshormon”. Wir haben Rezeptoren, die wie ein Steg sind. An jedem Steg kann ein kleines Boot mit Dopamin anlegen. Wenn alle Stege voll sind, ist das ziemlich viel Dopamin, was da gerade freigesetzt und wieder verbraucht wird. Das ist der Grund, warum man einen Kick erlebt, wenn man Alkohol oder andere Drogen konsumiert. Passiert das häufiger, verändert sich die Struktur im Gehirn. Es werden mehr Rezeptoren ausgebildet. Das bedeutet, dass wir ab diesem Moment noch mehr Dopamin aufnehmen können und auch müssen, um den selben Kick wieder erleben zu können.

Das Suchtgedächtnis verknüpft Erinnerungen mit Emotionen. Wenn wir also diese Dopaminparty im Gehirn gefeiert haben, hatten wir ein sehr intensives Hochgefühl. Zack – gespeichert! Nun wird bei jedem weiteren Rausch diese Erinnerung weiter gefestigt. Es ist ein Lernprozess, bei dem sich der Konsum mit dem Hochgefühl genauso intensiv verknüpft wie das Bedienen des Schaltknüppels und der Kupplung beim Autofahren. Denkst Du beim Fahren noch darüber nach, dass Du nun die Kupplung treten musst? Also ich nicht. Ich tue es einfach.

In den meisten Fällen trinken Menschen, die zu Alkoholikern werden, über einige Jahre. Bei mir waren es zum Beispiel 10 Jahre. Wenn ich über so eine lange Zeit jeden Tag oder mehrere Male in der Woche eine Übung durchführe, dann kann ich sie ziemlich gut, wenn die 10 Jahre vergangen sind. So gut geschult ist dann auch das Suchtgedächtnis. Es ist nicht mehr auslöschbar. Fahrrad fahren verlernt man nicht, Sucht leider auch nicht.

Es ist erstaunlich, was das Suchtgedächtnis alles so speichert. Erinnerungen bestehen nicht einfach nur aus Situationen (mit den dazu erlebten Gefühlen verknüpft), sondern auch ganz viele Kleinigkeiten werden gespeichert. Die Farbe der Flaschen, das Etikett, der Geruch, das Geräusch des Öffnens der Flasche, der Geschmack, das Geräusch des Eingießens und sogar die Orte, an denen man konsumiert hat.

Jemand, der nicht süchtig ist, kann das vielleicht nicht so einfach nachempfinden. Aber es gibt Ähnliches: Hast Du schon mal etwas gegessen, was Du überhaupt nicht vertragen hast? Ich habe mal einen Burger gegessen, auf dem sich eine Scheibe Tomate und Mayonnaise befanden. Ich hatte mich bei einer Freundin angesteckt und wurde an diesem Tag ziemlich krank. Ich musste mich mehrfach übergeben, mir war noch nie so übel. Der Burger konnte nichts dafür, er war nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Mein Gehirn hat die Kombination aus Tomaten und Mayonnaise mit dieser extremen Übelkeit verbunden. Wenn ich heute nur so etwas rieche, wird mir ganz schlecht. Ich denke, das ist das selbe Prinzip in der negativen Form.

Zurück zum alkoholfreien Bier: Man kann davon ausgehen, dass jemand, der seine Alkoholkarriere mit Bier gemacht hat, eine ziemlich deutliche Rückmeldung des Suchtgedächtnisses bekommt. Dieses reagiert mit Craving, dem Suchtdruck. Eigentlich beginnt das schon beim Öffnen der Flasche und dem Zischen oder Ploppen, das dazugehört. Hat man früher aus der Flasche oder aus dem Bierglas getrunken? Man sollte dieses Ritual nicht unbedingt wiederbeleben, denn auch das drückt den Auslöser im Suchtgedächtnis, welches dann den Suchtdruck auslöst.

Wie steht es nun um die oben genannte Aussage Nummer 1?

Ich würde das nicht so pauschal sehen wollen. Ich habe zum Beispiel kein Bier als Rauschmittel getrunken. Zwar habe ich das eine oder andere Bier während meiner Trinkzeit getrunken, aber dadurch war ich nie betrunken. Deshalb bringe ich das irgendwie gar nicht mit Alkohol in Verbindung (nur für mich selbst). Ich habe überhaupt kein Problem damit, im Sommer Malzbier zu trinken. Es ist nicht mal komplett alkoholfrei, erst im letzten Jahr wurde die Rezeptur meiner Lieblingssorte so verändert, dass es wirklich ein Getränk mit 0,0% ist. Außerdem trinke ich es aus einem Hefeweizenglas. Daraus schmeckt es einfach sehr gut. Und ganz ehrlich: Es ist auch mal nicht schlecht, im Sommer einfach mal ganz “normal” zu sein und ein kaltes Bier zu trinken.

Ich habe noch nie einen Caipirinha getrunken. Ich wusste gar nicht, was das ist, ich hatte nur den Namen schon mal gehört. Dann hat mir ein trockener Alkoholiker mal einen alkoholfreien Caipirinha gemixt. Der war echt gut und natürlich habe ich keinen Alkohol vermisst. Ich kannte es ja auch gar nicht anders und deshalb hatte mein Suchtgedächtnis “keine Daten” dazu gespeichert, genau wie beim Bier.

Bei Aussage 2 muss man bei meinen “Ich -habe-kein-Problem-damit-Getränken” eben genau diesen Unterschied wahrnehmen. Wer täglich mehrere Liter Bier getrunken hat, hat eben diese Verknüpfungen im Kopf. Ich beobachte die Leute immer wieder dabei, wie dann plötzlich 8 Flaschen alkoholfreies Hefeweizen getrunken werden. Das hat nichts mit einem leckeren Durstlöscher zu tun, sondern mit dem Ersatz. Mir kommt es bei diesen Menschen immer vor wie ein verzweifeltes Gegenan-Saufen, damit man seinen Genuss nicht abgeben muss. Früher oder später stehen sie vor der Entscheidung: Hole ich mir wieder alkoholhaltiges Bier, oder höre ich auf mit diesem Irrsinn?

Das sind aber Erfahrungen, die man selbst gemacht haben muss. Es ist auch einfach total individuell, wer was nach der Entgiftung wieder verträgt. Die Gefahr liegt nicht nur in der Schnapspraline, es ist auch nicht nur der Wein in Soßen, der übrigens erst nach 3-4 Stunden des Siedens verkocht! Es können auch ganz harmlos wirkende Dinge sein. Ich werde mit Sicherheit niemals freiwillig einen Kräutertee trinken, denn mein Getränk war Kräuterikör. Ich habe das neulich mal getestet. Dirk hatte sich einen Kräutertee bestellt und ich habe daran gerochen. Auch nach fast 20 Jahren hat mir das die Erinnerung mit voller Wucht um die Ohren gehauen, so dass ich trotz des bewussten Tests richtig überrascht war.

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